PPP: Purpose, Pulse, People auf Reisen
Intro
Oberhof – Acht (Ehe-)Paare, bei denen ein Partner an Demenz erkrankt ist, gönnen sich im Rahmen der Verhinderungspflege eine Auszeit. Dank des neuen Entlastungsbudgets können sie gemeinsam Urlaub machen, bei dem die pflegenden Angehörigen abschalten und Kraft tanken. Begleitet werden sie von einem Team aus professionellen Pflegekräften und geschulten Laienhelfer:innen, die den demenzerkrankten Personen im Reisealltag zur Seite stehen. In diesem Rahmen kam unser PPP-Konzept (Purpose, Pulse, People) zum Einsatz – es wurde kritisch hinterfragt und als wirkungsvoller Rahmen für die Reisebegleitung bestätigt.
Purpose
Der erste Baustein Purpose fokussiert den Sinn und Nutzen des Vorhabens. Gerade bei einer Reise in diesem besonderen Setting ist das ein spannendes – mitunter ethisches – Thema. Vorweg: Ja, es macht Sinn. Dennoch lohnt sich ein kritischer Blick auf mögliche Risiken und Fragen im Voraus:
Macht es Sinn, eine demenzerkrankte Person aus der vertrauten Umgebung in eine komplett neue Umgebung zu bringen?
Macht es Sinn, eine Reiseform zu wählen, bei der Stress und Konflikte vorprogrammiert sein könnten?
Diese Fragen haben wir uns gestellt und intensiv abgewogen. Ein Beispiel: Eine Ehefrau wollte unbedingt, dass ihr demenzkranker Mann gegen seinen Willen an einer Gruppenaktivität teilnimmt – aus Sorge, er könne sonst „etwas verpassen“. Wo hört die Selbstbestimmung auf – gilt sie auch bei Demenz? Solche Situationen machten deutlich, wie wichtig es ist, den Purpose der Reise ständig zu hinterfragen und klar zu definieren.
Letztlich fanden wir eine klare Antwort: Ja, die Reise ergibt Sinn – sofern sie umsichtig gestaltet wird. Potenziellen Belastungen wirken wir aktiv entgegen. Das Betreuungsteam gestaltet die Tage sinnstiftend, schafft positive Erlebnisse und fängt kritische Aspekte gezielt auf. So sorgen die Mitarbeitenden für Momente, in denen demenziell erkrankte Gäste längst verloren geglaubte Erinnerungen wiederfinden. Auch körperlich werden die Reiseteilnehmer ihren Möglichkeiten entsprechend gefordert und gefördert, sodass ihre Tage ausgefüllt und befriedigend verlaufen.
Ein Ergebnis des durchdachten Purpose: Die pflegenden Angehörigen berichteten dankbar, dass ihre Partner durch die vielen Eindrücke und Aktivitäten nachts deutlich ruhiger schliefen – was allen erholsame Nächte bescherte. Ein weiterer Lichtblick: Ein normalerweise apathischer Teilnehmer blühte während eines Waldspaziergangs plötzlich auf, lächelte und nahm seine Umgebung wahr. Diese Szene zeigte, dass eine ungewohnte Reiseumgebung durchaus positive Impulse setzen und verschüttete Fähigkeiten reaktivieren kann. Solche Erfolgsmomente beantworten die Sinnfrage eindrücklich positiv.
Pulse
Bei Pulse – dem zweiten PPP-Element – ist die Verbindung zur Reisebegleitung wesentlich greifbarer. Hier geht es, wie bereits in einem früheren Blogbeitrag betont, um eine wertschätzende Kommunikation und einen kontinuierlichen Feedback-Rhythmus im Team. Täglich pflegen alle Beteiligten – ob Fachkraft oder Helfer:in, ob eigenes Teammitglied oder von einem Kooperationspartner – eine enge Feedbackkultur. Das bedeutet: ständiger Austausch, klare Absprachen und gemeinsames Reflektieren in kurzen Takten.
Ein Beispiel aus der Praxis der Reisebegleitung:
Morgenbriefing: Jeden Morgen kommt das gesamte Betreuungsteam zusammen. In einem strukturierten Briefing werden der Ablauf des Tages besprochen und klare Ziele formuliert – z.B. “Heute möchten wir, dass Herr X Erfolgserlebnisse beim Kegeln hat” oder “Frau Y soll die Möglichkeit bekommen, an ihrem Hochzeitstag-Erinnerungsalbum zu blättern.” Alle wissen, worauf der Fokus liegt.
Laufendes Feedback: Im Tagesverlauf gibt es fortwährend kurze Austauschrunden – sowohl in der Gruppe als auch one-on-one zwischen Mitarbeitenden. So werden Beobachtungen direkt geteilt. Kritische Situationen können sofort erkannt und gemeinsam entschärft werden, noch bevor sie eskalieren. Wenn etwa ein Gast unruhig wird oder sich zurückzieht, merken es alle schnell und reagieren im Team abgestimmt.
Reflexion & Anpassung: Beobachtete Verhaltensmuster der Reiseteilnehmer werden analysiert. Das Team passt seinen Umgang damit situativ an und lernt täglich dazu. Jeder bringt seine Beobachtungen ein – wertfrei und konstruktiv. Dadurch schulen die Beteiligten ihren Blick und ihr Handeln kontinuierlich weiter.
Situationsbeispiel: An einem Nachmittag fiel auf, dass ein demenzkranker Gast regelmäßig gegen 16 Uhr sehr rastlos wurde. Dank des engmaschigen Austauschs erkannte das Team das Muster frühzeitig. Spontan wurde der Plan geändert und ein beruhigender Spaziergang im Garten eingeschoben. Die Unruhe verwandelte sich in ruhiges Wohlbehagen – ein potenzieller Stressmoment wurde durch den Pulse-Ansatz in ein positives Erlebnis umgelenkt. Dieses alltägliche, wertschätzende Miteinander und das sofortige Feedback im Team stellten sicher, dass alle Reisenden bestmöglich durch den Tag begleitet wurden.
People
Den dritten Punkt People mit der Reisebegleitung zu verknüpfen, ist etwas anspruchsvoller und zeigt seine Wirkung oft erst in der Retrospektive. Hier steht – nomen est omen – der Mensch im Mittelpunkt. Konkret bedeutet das in unserem Setting zweierlei: Zum einen gilt es, die richtigen Menschen für die Reise auszuwählen und vorzubereiten; zum anderen müssen die reisenden Paare selbst absolut im Zentrum aller Überlegungen stehen. Vor Reisebeginn haben wir deshalb großen Wert auf Vorbereitung und Teamauswahl gelegt:
Passgenaues Team: Das Betreuungsteam wurde im Vorfeld gezielt entsprechend dem Pflegebedarf und dem Demenz-Stadium der Teilnehmenden zusammengestellt. Für jede demenzerkrankte Person reiste zumindest eine Betreuungskraft mit, die Erfahrung im Umgang mit genau diesem Krankheitsbild hatte.
Antizipation & Schulung: Mögliche Probleme, die vor Ort auftreten könnten – von Orientierungslosigkeit über nächtliche Unruhe bis hin zu Konflikten zwischen Paaren – wurden vorab durchgespielt. Das Personal wurde genau daraufhin geschult und vorbereitet. So wussten alle bereits vorher, wie sie z.B. bei Weglauftendenzen reagieren oder wie sie deeskalierend eingreifen, wenn es zu Missverständnissen kommt.
Fokus auf die Menschen: Im gesamten Reiseverlauf waren die demenziell erkrankten Gäste und ihre Angehörigen der Mittelpunkt. Alle anderen – seien es Pflegeprofis, Helfer oder Organisatoren – fungierten als unterstützende Satelliten um dieses Zentrum. Jede Handlung zielte darauf ab, die pflegenden Partner spürbar zu entlasten und den erkrankten Personen schöne, fördernde Erlebnisse zu ermöglichen.
Am Ende zeigte sich: Wenn die Umsetzung gelingt, profitieren alle Beteiligten. Die Angehörigen kehren erholt und gestärkt aus der Auszeit zurück. Die demenzerkrankten Reisenden haben neue Eindrücke gewonnen, bewegen sich mehr und erleben soziale Teilhabe trotz ihrer Erkrankung. Und sogar das Betreuungsteam sammelt wertvolle Erfahrungen und Erfolgserlebnisse in der Arbeit mit dieser besonderen Reisegruppe. Alle spüren, was der People-Aspekt ausmacht – nämlich dass der Mensch und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen.
So bestätigt die Reise eindrucksvoll, dass das PPP-Konzept als Rahmen für die Reisebegleitung funktioniert. Purpose, Pulse, People greifen ineinander und schaffen einen sicheren, sinnvollen Raum, in dem pflegende Angehörige und ihre demenzkranken Partner gemeinsam unbeschwerte Momente erleben können. Eine solche Reise ist nicht nur eine Auszeit – sie wird im besten Fall zu einem echten Mehrwert für alle Menschen, die daran teilhaben.