Gesundheitswesen: Revolution im Doppelpack – wenn VBHC auf PPP trifft

Zwischen Top-Down und Bottom-Up: Zwei Welten, ein Ziel

Das Gesundheitswesen steckt in der Zwickmühle. Auf der einen Seite propagieren Strategen Value-Based Healthcare (VBHC) – ein Top-Down-Ansatz, der das Gesundheitssystem grundlegend vom Kopf her neu ausrichten will. Auf der anderen Seite brodelt es an der Basis: Purpose Pulse People (PPP) – ein Bottom-Up-Modell, das mit frischen Ideen und unkonventionellen Helfern das System von unten aufrollen will. Beide versprechen Transformation. Doch bislang laufen sie meist nebeneinander her, als sprächen sie verschiedene Sprachen. Die provokative These dieses Artikels: Nur wenn sich oben und unten verbinden, kann die echte Revolution gelingen.

Warum? Schauen wir auf die Fakten: Deutschland leistet sich eines der teuersten Gesundheitssysteme weltweit – zweithöchste Ausgaben gemessen am BIP – und doch bleiben die Ergebnisse mittelmäßig (OECD, 2023). Gleichzeitig spitzt sich der Pflegenotstand dramatisch zu: 94 % der Kliniken finden keine Pflegekräfte mehr, rund 130.000 Stellen sind unbesetzt (WIdO, 2023). Millionen pflegende Angehörige gehen am Stock (WIdO, 2023). Das System fährt auf Verschleiß – trotz aller Reformrhetorik. Hier prallen zwei Welten aufeinander: Oben werden Kennzahlen und Qualitätsindikatoren diskutiert, während unten schlicht die Menschen fehlen, um die Patient:innen zu versorgen.

Die Kernbotschaft ist klar: Weder schlaue Top-Down-Konzepte allein, noch heroische Bottom-Up-Initiativen im Alleingang werden den Karren aus dem Dreck ziehen. Es braucht beides – im Einklang. Zeit, die Schnittmengen von VBHC und PPP auszuloten und einen visionären Ausblick zu wagen, wie diese Verbindung in der Praxis aussehen kann.

Value-Based Healthcare: Vom Elfenbeinturm in die Praxis?

VBHC – wertbasierte Gesundheitsversorgung – klingt erst einmal nach Manager-Jargon. Doch der Kern ist bestechend: Statt Menge wird Wert belohnt. Patientenergebnisse pro eingesetztem Euro zählen, nicht bloß abgerechnete Leistungen (Porter & Teisberg, 2006). Das heißt konkret: Was am Ende für die Patientin herauskommt, rückt ins Zentrum. Lebensqualität, Genesung, Autonomie – das, was Menschen wirklich wichtig ist (TU Berlin, 2024).

Warum brauchen wir diesen Paradigmenwechsel? Weil unser Status Quo groteske Züge hat: Fehlanreize, Fragmentierung, Effizienzverlust – so lässt sich das heutige System beschreiben (Deutscher Bundestag, 2023). Ein einfaches Beispiel: Krankenhaus A erzielt für eine komplizierte Prozedur Top-Ergebnisse, Krankenhaus B deutlich schlechtere – beide bekommen dennoch gleich vergütet. Qualität und echter Patientennutzen gehen im Dickicht der Pauschalen unter (Porter & Teisberg, 2006).

VBHC fordert deshalb, Versorgung konsequent an Patientenzielen auszurichten, Sektorengrenzen zu überbrücken und diejenigen zu belohnen, die wirklich etwas bewirken (Porter & Teisberg, 2006; TU Berlin, 2024). Dazu gehören integrierte, multidisziplinäre Teams, Outcome-Transparenz und Patient-Reported Outcome Measures (PROMs). Erste deutsche Initiativen – etwa Selektivverträge in der Kardiologie – zeigen, dass dies auch in der Praxis möglich ist (TU Berlin, 2024).

Dennoch: Die schönste Strategie bleibt zahnlos, wenn an der Front die Realität eine andere ist. Was nützen ambitionierte Outcome-KPI, wenn Stationen wegen Personalmangel Betten sperren müssen? Wenn kein Personal da ist, um die ach so wichtigen „Patient Journeys“ zu begleiten? Hier klafft eine Lücke zwischen Top-Down-Ideal und Bottom-Up-Realität. Und genau da kommt PPP ins Spiel.

Purpose Pulse People: Revolution aus der Mitte der Gesellschaft

Während VBHC in Chefetagen und Think-Tanks gedeiht, wächst Purpose Pulse People (PPP) mitten auf den Stationen, in Pflegeheimen, in der Nachbarschaft. PPP fragt frech: Was wäre, wenn wir die Lösung vor unserer Nase haben? – nämlich die Menschen selbst. Menschen mit Herz, mit Zeit, mit Tatendrang, die bislang außen vor blieben (Borchert, 2023).

Der Dreiklang PPP steht für Purpose (Sinnstiftung), Pulse (kontinuierlicher Austausch) und People (Nutzen der Vielfalt) (Borchert, 2023). Das klingt abstrakt, heißt aber ganz konkret: Wir öffnen die starren Teamstrukturen und holen neue Akteure an Bord. Quereinsteigerinnen, Menschen mit Behinderung, Seniorinnen, Ehrenamtliche – all jene, die wollen, aber bisher nicht durften, werden Teil des Pflege- und Betreuungsteams (Borchert, 2023; WIdO, 2023).

Ein Beispiel aus der Praxis: In Thüringen ermöglichten gemischte Teams aus professionellen Pflegekräften und Laienhelferinnen pflegenden Angehörigen und Demenzpatientinnen erstmals wieder Urlaub – eine Entlastung, die zugleich die Lebensqualität der Patient*innen spürbar erhöhte (Borchert, 2023). Ergebnisse wie ruhigerer Schlaf oder gesteigerte Aktivität sind genau die Art von Outcomes, die VBHC auf Systemebene messen will – PPP macht sie im Alltag erlebbar.

PPP ist kein naives Bastelprojekt, sondern ein Innovationskonzept mit Methode: Sinnstiftende Aufgaben definieren (Purpose), kontinuierliche Lern- und Feedback-Zyklen einführen (Pulse) und unterstützende Gemeinschaften aufbauen (People) (Borchert, 2023). Ziel ist, die professionelle Pflege nachhaltig zu entlasten und gleichzeitig mehr Menschlichkeit ins System zu bringen. Bis 2030 soll PPP in Berlin als Modell etabliert und wissenschaftlich evaluiert sein (Borchert, 2023).

Schnittmengen: Wert und Sinn – zwei Seiten einer Medaille

Man könnte denken, VBHC und PPP seien völlig unterschiedlich – hier das analytische Top-Down-Konzept, dort die empathische Graswurzel-Initiative. Doch schaut man genau hin, greifen sie ineinander wie Zahnrad und Getriebe. Beide wollen letztlich das Gleiche: ein menschenzentriertes, nachhaltiges Gesundheitssystem.

  • Wert und Sinn gehören untrennbar zusammen. VBHC fragt: „Erreichen wir die bestmöglichen Ergebnisse für den Patienten?“ (Porter & Teisberg, 2006). PPP sorgt dafür, dass überhaupt genug Menschlichkeit und Zuwendung da ist, um diese Ergebnisse möglich zu machen (Borchert, 2023).

  • Daten und Geschichten: VBHC liefert Kennzahlen und Benchmarks, PPP liefert die Geschichten dazu – beide zusammen überzeugen Entscheider wie Basis.

  • Innovation trifft Akzeptanz: VBHC bringt den strategischen Rahmen, PPP die Kultur, in der Veränderungen getragen werden.

Kurz: VBHC liefert die Richtung, PPP den Drive. Erst die Kombination entfaltet transformative Kraft.

Praxisvision: Transformations-Turbo zünden

Wie könnte es konkret aussehen, wenn VBHC und PPP vereint werden? Stellen wir uns ein Krankenhaus 2030 vor: Multiprofessionelle Teams arbeiten gemeinsam mit Ehrenamtlichen und Inklusionsmitarbeitenden. PROMs zeigen bessere Outcomes, weil Patient*innen nicht nur behandelt, sondern begleitet werden. Pflegekräfte haben weniger Überstunden, weil Aufgaben klug verteilt sind. Value (VBHC) und Purpose (PPP) greifen ineinander – mit messbarem Erfolg.

Fazit: Gemeinsam aus der Komfortzone – Aufruf zum Mitgestalten

Das Gesundheitswesen der Zukunft entsteht weder im Elfenbeinturm noch am Stammtisch der Ehrenamtlichen, sondern in der Begegnung dieser Welten. Es braucht Top-Down-Visionen, die Bottom-Up gelebt werden. Werte ohne Menschen sind leer – und Menschen ohne Werte verirren sich.

VBHC + PPP = Transformations-Turbo. Jetzt liegt es an uns, den Schulterschluss zu wagen.

Literatur

Borchert, E. (2024). Purpose Pulse People (PPP): Mit Sinnstiftung und Inklusion den Pflegenotstand lösen. https://ericborchert.de

Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste. (2023). Gesundheitsausgaben in Deutschland im internationalen Vergleich. Deutscher Bundestag. https://www.bundestag.de/resource/blob/... (Primärquelle, WD-Publikation)

OECD. (2023). Health at a Glance 2023: OECD indicators. OECD Publishing. https://doi.org/10.1787/4dd50c09-en

Porter, M. E., & Teisberg, E. O. (2006). Redefining health care: Creating value-based competition on results. Harvard Business School Press.

Technische Universität Berlin. (2024). Masterkurs Value-Based Healthcare (VBHC). https://www.tu.berlin/en/mig/studying/courses-offered/masters-courses/value-based-healthcare-vbhc

Wissenschaftliches Institut der AOK. (2023). Pflegereport 2023: Personalnot in der Pflege. Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO). https://www.wido.de/publikationen-produkte/pflegereport

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Grad der Beeinträchtigung neu gedacht: Brauchen wir eine soziale Dimension?

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PPP: Purpose, Pulse, People auf Reisen